Dranbleiben

Manchmal läuft es im Leben nicht so, wie wir es geplant haben. Wir alle kennen diese Momente. Bei dem einen ist es die längst überfällige Beförderung, die erneut ausbleibt. Bei einer anderen die lang geplante Weltreise, die aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder verschoben werden muss. Und bei wieder anderen ist es die digitale Transformation des Unternehmens, die einfach nicht in Fahrt kommt, weil alteingesessene Mitarbeiter*innen sich um ihren Einflussbereich und ihre Macht sorgen.

 

Wenn sich nach wiederholten Anläufen immer noch kein Fortschritt einstellt oder man sogar um mehrere Schritte zurückgeworfen wird, ist es nur verständlich, dass man einfach aufgeben möchte. Einfach hinschmeißen und einen Schlussstrich ziehen, denn schließlich hat man ja alles versucht. Oder etwa nicht?

 

Wie alle anderen auch, kenne natürlich auch ich solche Momente. So haben meine Frau und ich vor fast zwei Jahren eine Immobilie erworben. Wir planten einen Monat für die Modernisierung ein und wollten danach mit unseren Kindern einziehen. Als wir jedoch mit der Modernisierung fertig waren, mussten wir feststellen, dass die Balken, es handelt sich um ein Fachwerkhaus, aufgrund eines Ausführungsfehlers nun einen Erschöpfungsschaden aufweisen. Zum Kaufzeitpunkt hatten wir das nicht festgestellt. Nach anwaltlicher Prüfung ist eine Rückabwicklung nicht möglich. Also mussten wir ran an die Balken und diese sanieren. Wir hatten Glück im Unglück. Da es sich um Gemeinschaftseigentum handelt, werden die Kosten durch alle Eigentümer geteilt. Auf der anderen Seite zieht sich die Sanierung so natürlich hin, weil jeder abgeholt werden will. Und dann kommt da noch das aktuell hochausgelastete Handwerk dazu. Die Auftragsbücher sind bis zu einem Zeitraum von sechs Monaten und manchmal sogar noch länger gefüllt.

 

Nach vielem Hin und Her konnten wir jedoch die Balken sanieren. Kurz bevor wir jedoch einziehen wollten, bemerkten wir, dass noch zwei weitere Balken gemacht werden müssen. Diese hatten wir entdeckt, als wir die abgehängte Decke rausgenommen hatten, um Raumhöhe zu gewinnen. Also begann das Spiel wieder von neuem. Abstimmen mit den anderen Eigentümern, Gutachter kommen lassen, Angebote einholen etc. Wie gesagt, mittleierweile zieht sich die Sache bereits fast zwei Jahre hin.

 

In solchen Momenten rufe ich mir die Geschichte des US-amerikanischen Unternehmensanwalts Robert Bilott ins Gedächtnis. Auch er hatte sein Leben und seine Karriere eigentlich anders geplant, als es dann schlussendlich kam. Kurz nachdem er sich seine Sporen als Partner der Kanzlei verdient hatte, wurde er von dem Viehzüchter Wilbur Tennant aus Parkersburg mit einem Fall konfrontiert, der sein Leben verändern sollte.

In schwierigen Lebensmomenten ist es hilfreich die aktuelle Situation in Kontext zu anderen schwierigen Situationen zu setzen, um neue Kräfte zu mobilisieren. Das können eigene Situationen sein, die man erfolgreich gemeistert hat oder auch Situationen von anderen. (Bild: kanchanachitkhamma/canva)

In seinen Recherchen deckte Bilott dann auf, dass der Chemiekonzern DuPont in Parkersburg, West Virginia, Perfluoroctansäure (PFOA) in den Ohio River leitete sowie PFOA-haltige Schlämme in einer nicht abgedichteten Deponie entsorgte.

 

Dies geschah jedoch nicht ordnungsgemäß, sodass die Chemikalien unteranderem das Grundwasser kontaminierten. Wodurch z.B. die Rinder des Viehzüchters Tennant erkrankten und starben. Und nicht nur diese. Auch die Menschen von Parkersburg erkrankten an den Chemikalien, wie es Bilott gelang nachzuweisen. Woraufhin er DuPont zur Rechenschaft vor Gericht zog, unentgeltlich wohlgemerkt.

 

Nach 16 Jahren Verhandlungszeit hatte Bilott den Konzern dann schließlich so weit, sodass dieser an die betroffenen Einwohner von Parkersburg eine Entschädigung in Höhe von mehreren Millionen USD zahlten sollte. Nach ersten Zugeständnissen weigerte sich das Unternehmen jedoch. 16 Jahre Arbeit lagen wie ein Scherbenhaufen vor Bilotts Füßen. In diesen 16 Jahren hatte er seine Karriere als Partner aufs Spiel gesetzt und auch seine Ehe und Familie. Er musste eine Entscheidung treffen: Sollte er den Schlussstrich ziehen, denn schließlich hatte er wohl alles gegeben? Oder sollte er noch ein weiteres Mal aufstehen und den Kampf aufnehmen?

 

Bilott entschied sich dafür die 3.550 von insgesamt 80.000 betroffenen Einwohnern der Stadt Parkersbrug einzeln vor Gericht zu vertreten. Was ungefähr bis zum Jahr 2890 gedauert hätte. In der Verfilmung dieser Geschichte, Vergiftete Wahrheit, wird dieser Moment besonders eindrucksvoll dargestellt. In der Schlussszene (ein bis zum Bersten mit Menschen gefüllte Gerichtssaal) schaut sich der vorsitzende Richter die Klageschrift an, stellt überraschend fest, dass Bilott die Klageseite vertritt, und sagt: „Herr Bilott, Sie sind ja immer noch dabei.“ Woraufhin Bilott antwortet: „Ja, Sir, das bin ich.“

 

Für die erste Klägerin, eine Nierenkrebsüberlebende, holt Bilott 1,6 Millionen USD raus. Für den zweiten holt er 3,2 Millionen USD raus. Dann 6,4 Millionen USD. Dann 12 Millionen USD. Schlussendlich haben die Verantwortlichen bei DuPont die Nase voll und es kommt zu einem Vergleich von 670 Millionen USD und weiteren 25 Millionen USD für mögliche Verbindlichkeiten in diesem Zusammenhang. Der Fall wurde als der Teflon-Skandal berühmt und ging um die ganze Welt. Insgesamt zog sich die Auseinandersetzung über 19 Jahre.

Wenn einem die Sache wirklich wichtig ist, dann lohnt es sich dranzubleiben. Es kann gut sein, dass einen das Leben mit einem Sieg belohnt, der ungeahnten Einfluss auf unser weiteres Leben hat. (Bild: rattanakun/canva)

„19 Jahre voller Ungewissheit. Was sind da zwei Jahre mit einem absehbaren Ende schon?“, denke ich mir dann immer.

 

Die Message: Wenn Dir die Sache wirklich wichtig ist, dann ist es Deine Pflicht dranzubleiben.

 

Und die Dinge haben immer zwei Seiten, so schlecht sie auf den ersten Blick auch sein mögen. In unserem Fall konnten wir unseren Sohn auf eine Schule anmelden, die aktuell außerhalb unseres Einzugsgebiets liegt. Wir wollten ihn jedoch unbedingt auf dieser Schule haben, weil sie einen ausgesprochen guten Ruf besitzt. Durch die Immobilie, die sich im Einzugsgebiet der Schule befindet, wurde das möglich. Darüber hinaus konnten wir unser Netzwerk an Handwerkern erweitern. Die wir für unsere zukünftigen Immobilienprojekte gut gebrauchen können.

 

Der Teflon-Skandal verhalf Bilott zur weltweiten Bekanntheit und beförderte seine Karriere in nie dagewesene Sphären.

 

 

 

(Titelbild: Jonas_Fehre/pixabay)

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