Culture „Is the Game“

Ein Thema, das mich zurzeit sehr bewegt, ist die Kultur eines Unternehmens. Damit stehe ich jedoch nicht allein dar. Einigen meiner Freunde geht es ähnlich, und dass obwohl wir in unterschiedlichen Branchen (Verwaltung, Industrie, Kreativwirtschaft etc.) tätig sind. Die letzten beiden Coronajahre haben sicherlich einen Anteil daran, dass weltweit viele Menschen ins Grübeln gekommen sind. In den USA gab es z.B. eine regelrechte Kündigungswelle, die diesmal jedoch von der Belegschaft ausging und nicht von den Unternehmen. So etwas gab es glaube ich noch nie.

 

Die Menschen hatten während der Coronajahre Zeit zum Reflektieren: Will ich dem Job nachgehen, dem ich gerade nachgehe? Will ich für das Unternehmen arbeiten, für das ich gerade arbeite? Interessanter weise war es nicht die Ausstattung des Arbeitsplatzes, der Maschinenpark oder der Standort eines Unternehmens, der die Menschen zum Gehen bewegte. Es war die Basis, die Kultur des Unternehmens, die nicht mehr stimmtet. Wenn die Kultur nicht stimmt, dann können die anderen Dinge noch so gut sein, werden sie das Schlimmste doch nicht verhindern können: den Zerfall des Unternehmens.

 

Den Zerfall in Form mangelnder Kreativität und Innovation.

 

Den Zerfall in Form einer Kündigungswelle aus Kostengründen.

 

Den Zerfall in Form einer ungewollten Mitarbeiterfluktuation.

 

Den Zerfall in Form einer Rufschädigung.

 

Den Zerfall in Form einer Zerschlagung.

 

Alle, die es sich leisten können, und das sind in der Regel die Besten, verlassen in solchen Fällen früher oder später als erste das Unternehmen. Was wiederum enorme Kosten nach sich zieht, da diese Mitarbeiter*innen auch wieder ersetzt werden müssen.

Was tun, wenn der Scherbenhaufen bereits vor einem liegt? Nur wenige Menschen sind bereit und offen genug, sich dem eigentlichen Problem anzunehmen. Nicht zu handeln kann sehr teuer werden, wie die nachfolgenden Zahlen von Deloitte zeigen. (Bild: TanteTati/pixabay)

Die Unternehmensberatung Deloitte hat in einer Analyse zur ungewollten Mitarbeiterfluktuation ermittelt, dass die durchschnittlichen Kosten für eine Nachbesetzung bei rund 14.900 Euro liegen. Pro Stelle wohlgemerkt. Das ist ziemlich viel Asche, wenn sich die Kündigungen anfangen zu häufen. Bei zehn ungewollten Kündigungen wären das z.B. 149.000 Euro. Laut Deloitte variieren die Kosten in Abhängigkeit der Unternehmensgröße. Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten müssen mit 13.705 Euro Gesamtkosten rechnen. Zwischen 100 und 1000 Beschäftigten sind es 13.852 Euro und ab 1000 Beschäftigten schlägt eine ungewollte Kündigung mit rund 17.159 Euro zu buche. Wie gesagt, ziemlich viel Asche. Das sind Größenordnungen, die in manchen Branchen ein Jahresgehalt darstellen.

 

Vor diesem Hintergrund möchte ich einen Mann porträtieren, der den blauen Riesen IBM aus einer der schwersten Krisen der Unternehmensgeschichte herausholte. Als Lou Gerstner im April 1993 als vielbelächelter Quereinsteiger (Cookie-Monster) seine Stelle als CEO bei IBM antrat, wusste er nicht, was das eigentliche Problem bei IBM war. Wenige Jahre vor seinem notwendigen Antritt galt IBM nämlich als legendär. 1987 war IBM mit einem Börsenwert von 106 Milliarden Dollar das wertvollste börsennotierte Unternehmen der USA. Dem Unternehmen wurde der Slogan „Nobody gets fired for buying from IBM“ zugesprochen. Das galt sowohl für die Produkte des Unternehmens als auch für die Aktien. IBM war eine todsichere Sache in der Industrie und an der Börse.

 

Doch Anfang der neunziger Jahre stürzte das Unternehmen in die schwerste Krise seiner Geschichte. Das Unternehmen verlor seine Kreativität und Innovation. Es kam so schlimm, dass John Akers, der damalige CEO, weder ein noch aus wusste und anfing zehntausende Mitarbeiter*innen zu entlassen. Ein bis dato völlig unbekanntes Phänomen bei IBM. Das Unternehmen geriet massiv in die roten Zahlen und eine Insolvenz stand kurz bevor. Um dem zu entgehen, breitete Akers die Zerschlagung des Unternehmens vor.

In der japanischen Kultur gibt es eine Tradition, bei der kaputten Vasen ein zweites Leben geschenkt wird. Dabei werden die einzelnen Vasenstücke mit einer Goldpaste wieder zusammengefügt, was die Vase wertvoller machen soll. Die Kultur eines Unternehmens ist der Klebstoff, der die Belegschaft zusammenhalten sollte. (Bild: Metropolitan Museum of Art/metmuseumimages)

Mit Gerstner an der Spitze, sollte jedoch alles anders kommen. Gleich am Anfang traf er zwei weitreichende Entscheidung: Zum einen verhinderte er die Zerschlagung von IBM und zum anderen richtete er das Unternehmen konsequent auf das Service Geschäft aus. Nachfolgend betrachtet, waren das die beiden leichtesten Dinge, die es zu erledigen galt, um das Unternehmen wieder in die Spur zu bringen. In seinem Buch „Who Says Elephants Can't Dance?: Leading a Great Enterprise through Dramatic Change“ beschreibt er das eigentliche Problem des Unternehmens:

 

„If I could have chosen not to tackle the IBM culture head-on, I probably wouldn´t have…. My bias coming in was toward strategy, analysis and measurement…. In comparison, changing the attitude and behaviors of hundreds of thousands of people is very, very hard to accomplish…. Yet I came to see, in my time at IBM, that culture isn´t just one aspect of the game - ­it is the game.“

 

Lou Gerstner hatte das Glück der Unwissenheit, als er als Quereinsteiger bei IBM übernahm. Ihm wurde erst im Nachhinein bewusst, worauf er sich da eigentlich eingelassen hatte. Und hätte er es gewusst, so hätte er sich der Aufgabe wohlmöglich nicht angenommen. Gleichzeitig muss man ihm jedoch hoch anrechnen, dass er seine Entscheidung, IBM wieder auf die Beine zu helfen, durchgezogen hat. Die Kultur eines Unternehmens zu ändern ist sicherlich eine der schwierigsten Aufgaben einer Führungskraft. Man muss in die Köpfe der Menschen, um zu verstehen, was sie bewegt und wie man es schaffen kann diese Beweggründe für sich zu nutzen. Eine Investition in eine Maschine zu tätigen ist im Vergleich dazu Kindergarten.

 

Gerstners Vorteil war, dass er an der Spitze des Unternehmens stand. Doch wie verklickert man einer Führungskraft, dass an der Basis des Unternehmens etwas gewaltig nicht stimmt, wenn man nur Mitarbeiter*in ist? Ich denke, dass man auch hier, wie so oft im Leben, eine Entscheidung treffen muss. Ist mir die Sache es wert, dass ich mich aus der Deckung heraustraue und an die Führung reflektiere, was eigentlich gerade los ist? Oder ist es mir nicht wert und ich ertrage es bzw. siehe zu, dass ich das Weite suche? Lou Gerstner war es die Sache wert, sodass er sich allein der eingesessenen Kultur von hunderttausenden von Beschäftigten stellte. Was sicherlich nicht leicht war, wenn man zunächst allein auf weiter Flur steht.

 

 

 

(Titelbild: Soumya Ranjan/Pexels)

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