Produktenttäuschungen vermeiden

Letztens machte ich eine Dienstreise mit einem Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium. Wir begleiteten unseren niedersächsischen Staatssekretär für Digitalisierung Stefan Muhle und besuchten ein paar Akteure in der Fläche, die sich im Bereich der Low-Code Technologie engagieren und zeichneten diese aus. Gerade in unserem Job (Innovationsförderung), wo es um Menschen geht und nicht um Technologie, ist es gut und hilfreich sich mit den Akteuren auszutauschen. Das hat einen hohen Stellenwert, insbesondere wenn man sich auf die Face-to-Face Gespräche beziehen kann. So nach dem Motto: „Ich habe erst gestern mit Staatssekretär Stefan Muhle gesprochen und er hat mir versichert, dass …“ Solche Worte haben in einem Gespräch einfach Gewicht.

 

Worüber ich jedoch eigentlich in diesem Beitrag berichten möchte, war unser Fahrzeug, genauer das Navigationssystem. Mein Kollege reservierte uns ein nagelneues Poolfahrzeug eines großen Autoherstellers bei uns aus der Region. Das nagelneue Poolfahrzeug bekamen wir dann auch. Es war sauber und roch auch wie ein Neufahrzeug. Der Fuhrparkservice machte seinem Namen alle Ehre. Ich stehe einfach auf großartigen Service. Doch das Navigationssystem schaffte es innerhalb der ersten Minuten den positiven Eindruck, den das Auto sonst bei mir hinterließ, nachhaltig einzutrüben.

"Jeder Saugnapf an der Windschutzscheibe ist eine Produktenttäuschung." (Bild: Malte Lu/Pexels)

Ausschlaggebend für die irreführende Navigation war der relativ frische Umbau des Umfelds rund um den Hannover Hauptbahnhof. In diesem Zuge wurde auch die Verkehrsführung angepasst. Einige Spuren sind nun nur noch für den Busverkehr zugelassen. Wiederum andere Stellen wurden zu Einbahnstraßen. Die Baumaßnahmen wurden nicht erst an dem besagten Tag, sondern bereits Wochen vorher abgeschlossen und dennoch war das Navigationssystem nicht auf dem neusten Stand. Es führte uns im Kreis und wollte, dass wir entweder die Busspur oder aber Einbahnstraßen in falscher Fahrtrichtung benutzten. Wir waren drum und dran unsere Smartphones für die Navigation zu benutzen, Apple oder Google würden es schon richten. Entschieden uns dann jedoch dazu das Navigationssystem einfach zu ignorieren und selbstständig einen Punkt zu suchen, ab dem es wieder klarkommen würde. Auf der Autobahn funktionierte es dann tadellos.

 

Ich weiß, dass die Entwicklungszyklen in der Automobilindustrie zwischen drei und fünf Jahren betragen, doch auch das Smartphone wurde nicht erst gestern erfunden. Genauer gesagt veröffentlichte Steve Jobs am 9. Januar 2007 das erste Apple iPhone. Ein Gerät, das insbesondere durch seine einfache, intuitive Bedienung und Navigation, auch auf den Straßen dieser Welt, unsere Herzen im Sturm eroberte. Das war vor 15 Jahren. Innerhalb dieses Zeitraums hätte man drei bis fünf neue Fahrzeuggenerationen auf den Markt bringen können, mit ähnlich guter Navigation.

 

Stattdessen wurde ich an diesem Tag an die Worte von Christoph Keese erinnert, der in seinem Buch „Silicon Germany“ schreibt: „Jeder Saugnapf an einer Windschutzscheibe ist eine Produktenttäuschung.“ Das Buch veröffentliche Keese übrigens am 21. September 2016. Also vor nicht ganz sechs Jahren. An dem besagten Tag konnte ich es irgendwie nicht glauben. Es hat den Eindruck, dass unsere niedersächsische und deutsche Kernindustrie nach wie vor Produkte auf den Markt bringt, die aus Nutzersicht alles andere als innovativ sind. Gut, mit der neuen ID-Plattform von Volkswagen oder der EQ-Plattform von Mercedes-Benz wird bestimmt einiges besser, einfach weil Elektrofahrzeuge besser sein müssen. Die Erwartungen sind jedenfalls hoch. Doch was sind dann die Fahrzeuge, die aktuell auf unseren Straßen rollen? Der Restbestand, der abverkauft werden muss, bis die neuen Fahrzeuge erschwinglich sind?

Austausch zwischen den einzelnen Abteilungen hilft dabei Silos aufzubrechen und Produktenttäuschungen zu vermeiden. Das macht uns das Silicon Valley seit über 15 Jahren vor. (Bild: Buro Millennial/Pexels)

Ich möchte hier ein Bashing der deutschen Ingenieurskunst betreiben, zumal ich selbst Ingenieur bin. Deutsche Ingenieure sind auch nicht schlechter oder besser als die Ingenieure aus dem Silicon Valley. Wir haben bloß eine andere Einstellung zu den Dingen. Bei uns müssen sie perfekt sein und am besten ewig funktionieren. Doch die kommenden Produktgenerationen müssen nicht nur in Punkto Perfektion und Zuverlässigkeit ein WOW sein, sondern auch in Punkto Bedienerfreundlichkeit, Aussehen und Navigation. Deshalb ist das hier ein Weckruf – ein erneuter, muss man sagen. An alle Ingenieure, Designer, Softwareentwickler, Monteure, Maschinenbauer, Schweißer, Lieferanten, Verpacker und all die Menschen, die an einer Produktentwicklung in der Automobilindustrie und sonst wo beteiligt sind: Erfolg hat der, der die Produkte von Vorne bis Hinten betrachtet und nicht nur für einen Teil davon verantwortlich ist.

 

Dies geht jedoch nur, wenn man mit den Menschen spricht. Was mich wieder zum Anfang dieses Beitrags führt. Mein Kollege und ich betrieben an dem Tag MBWA (Management By Wandering Around). Nicht zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, wie es im klassischen Sinn gemeint ist, sondern zwischen Gleichgesinnten. Es ist der Austausch, der die Komplexität einer Sache reduziert und die Silos aufbricht, damit Produktenttäuschungen vermieden werden können.

 

Also mehr davon.

 

Viel mehr.

 

 

 

(Titelbild: Tookapic/Pexels) 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0